Die Nachrichten-Plattform OhmyNews


Die kommerzielle südkoreanische Nachrichtenplattform OhmyNews ist die erfolgreichste Bürgerjournalismus-Website, die es derzeit zu beobachten gibt. Über 60.000 »citizen reporter« schreiben für die Website und rund 60 professionelle Reporter und Redakteure arbeiten für OhmyNews. (Stand 2007)1

Ihr Einfluss auf die Gesellschaft zeigte sich bei den südkoreanischen Präsidentschaftswahlen 2002. Durch OhmyNews wurden, so viele junge Wähler mobilisiert, dass der Kandidat Roh Moo Hyun die Wahl gewann. Außerdem zeigt sich ein Einfluss auf die traditionellen Medien, die verstärkt »user-created content« in ihr Angebot aufnehmen. So hat zum Beispiel eine der führenden konservativen Tageszeitungen »Chosun Ilbo« eine Kommentarfunktion eingeführt. 2

In Südkorea sind die Voraussetzungen für ein solches Projekt hervorragend. Die Internetdichte und die Verbreitung von Breitbandanschlüssen sind sehr hoch. In einem Innovationsranking Breitband-Internet das unter internationalen Experten für die Studie »Deutschland Online 4« durchgeführt wurde, steht Südkorea auf Platz eins, während zum Beispiel Deutschland den siebenten Platz belegt. Über 75 Prozent aller Bürger besitzen einen in Südkorea günstigen Breitbandzugang. So können sie den ganzen Tag über die Nachrichten verfolgen und auch kommentieren oder selbst verfassen. 3

Außerdem besteht eine Unzufriedenheit mit den traditionellen Medien. Die Bürger waren unzufrieden mit den überwiegend konservativen Mainstream-Medien. Sie waren außerdem wütend, da laut dem Direktor von OhmyNews International Jean K. Min die Mainstream-Medien kontinuierlich die Agenda von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nach ihrem eigenen Geschmack manipulierten.4

Der Gründer von Ohmynews Oh Yeon Ho machte als Journalist die Erfahrung, nicht an gewünschte Informationen heranzukommen und viele Türen verschlossen vorzufinden. Bevor es Ohmynews gab, schrieben laut Jean K. Min schon viele junge sogenannte »Netizens«, also Netzbürger, in Weblogs über ihre Unzufriedenheit mit den Nachrichten-Medien:

»Many young Koreans who were already sharing their thoughts on the Internet found that it made infinitely more sense to write for a news media with strong national brand and formidable presence in the news market than scribble their anger in a puny blog.«5

Oh Yeon Ho gündete im Februar 2000 unter dem Motto »every citizen can be a reporter« OhmyNews, und schnell reichten Bürgerreporter auf der Seite Artikel ein. Oh Yeon Ho sagt über die Ziele von Ohmynews:

»I wanted to start a tradition free of newspaper company elitism where news was evaluated based on quality, regardless of whether it came from a major newspaper, a local reporter, an educated journalist, or a neighborhood housewife. … So I decided to make the plunge into the sea of the Internet, even though I feared that which was different from what I was accustomed.«6

Diese Ziele unterscheiden Ohmynews von einem traditionellen Nachrichtenunternehmen. Der Aufbau des Redaktionssystems weist aber Parallelen zu dem eines rein professionellen Nachrichtenunternehmens auf. Die »citizen reporter« verfassen ihre Artikel und senden per Button-Klick an die Redaktion. Dort werden sie von »copy editors«, also Redakteuren, ausgesiebt, inhaltlich geprüft und redigiert. 30 Prozent der von Bürgerreportern verfassten Artikel werden unter anderem aufgrund von schlechter Satzkonstruktion, inhaltlichen Fehlern und ihrem Mangel an Nachrichtenwert abgelehnt. Bei dieser Arbeitsweise nehmen die Redakteure weiterhin die gate-keeper-Rolle ein, da sie Artikel auch ablehnen. Aber aufgrund der großen Zahl der angenommenen Artikel findet immer noch ein breiteres Angebot an Nachrichtenberichterstattung statt. Eine neue Rolle der Redakteure ist die der Mentoren. Wenn ein Artikel schlecht geschrieben ist, weisen die Redakteure den Autoren auf die Fehler hin und geben ihm damit die Chance, erstens den Artikel zu verbessern und zweitens etwas über das Schreiben zu lernen. So ist laut Min bei vielen Autoren eine Steigerung vom ersten zum letzten Artikel deutlich zu erkennen.7

Bevor die Bürgerreporter auf Ohmynews schreiben dürfen, werden ihre Identitäten durch einen Authenifikationsprozess verifiziert, der von der Regierung gesponsert wurde. Es ist niemandem erlaubt unter falscher Identität zu veröffentlichen. Auch müssen sie eine Einverständniserklärung unterschreiben. Darüber hinaus gibt es auch den »OhmyNews Code of Ethics« den die Autoren unterschreiben müssen. Halten sie sich nicht daran, wird ihnen die Mitgliedschaft gekündigt. Die Autoren bekommen ungefähr 50 Dollar, wenn ihr Artikel veröffentlicht wird. Außerdem gibt es ein Taschengeld-System, mit dem es Lesern möglich ist, eine von ihnen gewählte Summe an die Autoren zu überweisen. 8

Einen großen Unterschied gibt es bei der Einhaltung der journalistischen Normen. Im Gegensatz zu traditionellen Nachrichtenunternehmen, ist es den Reportern erlaubt, in ihren Artikeln nicht nur Fakten darzulegen sondern auch Meinungen zu äußern. Min schreibt darüber:

»OhmyNews values news that is collected and written through the lens of ordinary citizens. The eye-level perspective of their stories stuffed with a rich array of personel anectodes is what sets apart the content of OhmyNews from other news sites … Bottom line is: your personal interpretation is welcomed but no factual fallacy will be tolerated.«9

Die Autoren werden dazu ermutigt, über ein ihnen bekanntes Thema oder Ereignis aus einer persönlichen Perspektive heraus zu berichten. Dabei wird die Sorgfaltspflicht genauso beachtet wie die Glaubwürdigkeit der schreibenden Person. Inhaltliche Fehler werden nicht toleriert. 10 Dies unterscheidet den partizipativen Journalismus von OhmyNews erheblich von professioneller Nachrichtenberichterstattung, die versucht Objektivität und Neutralität zu gewährleisten. So ergibt sich aber durch mehrere Stimmen, die zum Beispiel über das gleiche Ereignis berichten eine ausgewogene Berichterstattung und die Leser können sich selbst ihre Meinung über das Geschehen bilden.

Unabhängigkeit und Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit ist für OhmyNews ebenfalls ein wichtiger Punkt, da die Website von Werbung und dem Verkauf von Inhalten finanziert wird. Oh sagt darüber:

»About 70 per cent of our revenue comes from advertising, but only 20 per cent is content related. We sell our news to other news sites. And ten per cent is from education-related events. … From the beginning, in Internet space, news is considered free. But managing a news organisation is not free. That is the big contradiction. In order to sustain independent Internet news, we have to create a culture where we, the readers, pay for good articles.«11

OhmyNews zeichnet sich also durch ein kommerzielles Geschäftsmodell aus, in dem auch die Inhalte der Bürgerreporter vermarktet werden. Diese bekommen für ihre Inhalte nur sehr wenig Geld. Dies ist ein kritischer Punkt, denn wenn die Bürgerreporter das Gefühl haben übervorteilt zu werden, dann könnten sie ihre Mitarbeit schnell verweigern und das Projekt OhmyNews wäre gescheitert. Also hat OhmyNews eine besondere Verantwortung, mit den Inhalten verantwortungsvoll umzugehen und den Teilnehmern an dem Projekt das Gefühl zu geben, zum beiderseitigen Vorteil zu arbeiten. Ein Ombudsmann-Komitee aus Bürgerreportern und anderen Beobachtern sorgt dafür, dass die redaktionelle Integrität gewahrt bleibt.12 Min beschreibt den Druck von außen so:

»Our citizen reporters will submit whatever story they deem newsworthy and worth attention, and OhmyNews cannot reject them without first offering them justifiable reasons publicly. Should anyone find that we are rejecting some critical stories out of external pressure, OhmyNews will instantly come under a great fire and public scrutiny by our own citizen reporters.«13

Ein Einfluss von Politik und Wirtschaft wird also erschwert durch den Einfluss, den die Bürgerreporter durch ihre Arbeit auf das Projekt haben.

Auf der Website OhmyNews International findet sich eine Unterteilung in die Bereiche: Home, Korea, World, Sci&Tech, Art&Life, Entertainment, Sports, Global Watch, Interviews, Citizen Journalism. 14 Bei der Website der NY Times sehen die Kategorien im Vergleich so aus: World, U.S., N.Y./Region, Business, Technology, Sports, Science, Health, Opinion, Arts, Style, Travel. 15 Der Technik und Wissenschaft wird also bei OhmyNews etwas höhere Beachtung geschenkt, während die Wirtschaft bei OhmyNews keine eigene Rubrik besitzt.

Am 18. Januar waren auf der Home-Seite von OhmyNews folgende Artikel als »Today’s Top Stories« bezeichnet: 16

  • »Guantanamo as a Symbol – [Opinion] The debate over this notorious prison has ever since been marred by easy reductionism« von Ramzy Baroud,

Ramzy Baroud ist Autor und Redakteur der PalestineChronicle.com. Seine Arbeit wurde in vielen Zeitschriften und Magazinen weltweit veröffentlicht. Das er für OhmyNews schreibt, ist ein Zeichen für die Relevanz des Projektes. Er nutzt die Plattform hier, um seine Meinung über Guantanamo zu äußern.

  • »Zimbabwe Introduces 10 Million $ Bill – Inflation runs between 25,000 and 150,000 percent« von Masimba Biriwasha,

Für Nachrichten aus Afrika stellt OhmyNews eine Chance dar, größere Beachtung zu finden, da diese sonst in der täglichen Nachrichtenberichterstattung leicht untergehen.

  • »Why Heathrow Should’t Get a 3rd Runway – [Commentary] After the crash of Flight 038, expansion of the airport is questioned« von Charles Michel Duke,
  • »Anchor’s Tiger Woods Comment Draws Ire – Off-color quip grounds first female PGA anchor for two weeks« von David S. Elliott,
  • »Aussie Bats Wilt Under Hot Perth Sun – [3rd Test, Day 2] Kumble claims 600th test scalps as India are in the box seat at WACA« von Michael Clough
  • [DVD Review] »The Banquet« – Reflections on the uneasy alliance of film and literature von Sianturi Dinah Roma
  • Monstrous ›Cloverfield‹ Has No Bite – 70 minutes of shaky-cam nonsense stiffly calculated von Brian Orndorf

Die Top-News bilden eine Mischung aus allen Kategorien: Politik, Sport und Unterhaltung. Die Qualität der Nachrichtenbeiträge ist hoch. Die Auswahl über die Top Themen erfolgte durch die Redaktion, also ist in diesem Fall die Redaktion teilweise immer noch als Gatekeeper zu sehen. Da dies aber nur eine Auswahl an Artikeln ist, ist zu betonen, dass aufgrund der nahezu unbegrenzten Platzmenge im Internet hier eine größere Bandbreite an Nachrichten zu finden ist, einfach weil mehr Reporter für die Seite schreiben und diese bei OhmyNews wie an den Beispielen zu erkennen ist, aus der ganzen Welt kommen.

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1 Vgl. Yoo 2007: http:///Mediacheck/2007/10/24/WikiVOhMyNews/

2 Vgl. Min aus persönlicher Korrespondenz; Schmidt 2006: http://www.tagesschau.de/ausland/meldung113974.html

3 Vgl. Wirtz, Burda, Raizner 2006: S. 91; Vgl. Thacker 2007: http://english.ohmynews.com/articleview/article_view.asp?article_class=8&no=211939&rel_no=1

4 Vgl. Min 2005: S. 17

5 Min 2005: S. 17

6 Oh zitiert aus Min 2005: S. 17

7 Min aus persönlicher Korrespondenz

8 Vgl. Min aus persönlicher Korrespondenz, Vgl. Yoo 2007

9 Min aus persönlicher Korrespondenz

10 Vgl. Min aus persönlicher Korrespondenz

11 Oh zitiert aus Yoo 2007

12 Vgl. Min aus persönlicher Korrespondenz

13 Min aus persönlicher Korrespondenz

14 http://english.ohmynews.com/index.asp

15 http://www.nytimes.com/

16 http://english.ohmynews.com

CC BY-NC 4.0 Dieses Werk ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell 4.0 international.

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