Einfluss von neuer Technologie auf Medienentwicklung und Gesellschaft


Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass neue Medientechnologien Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben haben. Auch die neuen Medientechnologien besitzen das Potenzial, unsere Gesellschaft zu prägen, wenn nicht gar zu verändern.

Die Schrift, ein wichtiges Medium, hat die Organisation der Gesellschaft entscheidend verändert. So war es möglich, Anweisungen über große Entfernungen und an viele Personen zu senden und damit den eigenen Einflussbereich stark zu erweitern.1

Der Medienwissenschaftler Régis Debray ist überzeugt, dass nicht der Wissensstand allein für die Entwicklung einer neuen Medientechnologie verantwortlich ist, sondern auch die gesellschaftlichen, die kulturellen Gegebenheiten. In diesem Zusammenhang entwickelte er die Sicht der »Mediologie«. Er beschreibt diese als Disziplin, die sich mit den höheren sozialen Funktionen und deren Beziehung zu den technischen Strukturen der Übertragung befasst.2 Sie behandelt also nicht nur neue Technologien als solche, sondern auch die Personenkreise, die sie nutzen und vor allen die Orte an denen sie genutzt worden sind und genutzt werden:

»Ein Medium wächst nur in dem Milieu, in dem Nachfrage danach herrscht – oder auch nicht. Und wahrscheinlich trifft auch auf die erste Handpresse und auf das erste Gedruckte die Formel zu, die David Landes auf die mechanische Uhr anwendet: ›Es ist nicht die Uhr, die das Interesse für die Zeitmessung aufkommen ließ; es war das Interesse für die Zeitmessung, das zur Erfindung der Uhr geführt hat.‹« 3

Als Beispiel für diese These, nennt er die Entwicklung des Buchdruckes durch Johann Gutenberg mit Hilfe der Druckerpresse und Lettern aus Blei im 15. Jahrhundert. Im China des 11. Jahrhunderts waren bereits bewegliche Lettern aus Holz bekannt. Diese wurden aber aufgrund der begrenzten Nachfrage nach Gedrucktem und des chinesischen Zeichen-Schriftsystems nicht weiterentwickelt. Die beweglichen Bleilettern, waren nur im lateinischen Schriftsystem wirtschaftlich, da nur wenige Buchstaben und Zeichen notwendig waren, um die ganze Schriftsprache abzubilden.4

Die Entwicklung eines neuen Mediums bedeutet jedoch nicht, dass es sofort Platz im Alltagsleben der Nutzer findet. Die Umstellung der Mediennutzung ist ein Prozess, der abhängig von der Gesellschaft, langsam oder schnell vollzogen werden kann. Der SR-Intendant Fritz Raff betont den Einfluss der Nutzer auf die Durchsetzung eines neuen Mediums:

»Wenn Sie dem, was technisch möglich ist, immer sofort zum Durchbruch verhelfen wollen, müssen Sie nicht nur die Technik, sondern auch die Menschen vor den Flimmerkisten austauschen.« 5

Das neue Medium hat Auswirkungen auf die Aufgaben und die Bedeutung der alten Medien. Im ersten Stadium werden die neuen Medien häufig von den bereits existierenden vereinnahmt. Derrick de Kerckhove beschreibt in seinem Buch »Vom Alphabet zum Computer« die Wechselwirkungen, die bei der Entwicklung der einzelnen Massenmedientechnologien zu beobachten waren. Als Beispiel nennt er die Vereinnahmung der Telegrafentechnik durch die Zeitung und die darauffolgende Entwicklung des Radios als eigenständigem Medium, das der Zeitung Konkurrenz machte. Weiterhin beschreibt er die Auswirkungen, die das Fernsehen auf die Presse hatte und umgekehrt. So nahm die Länge der Artikel ab. Die Produktion und der Absatz von Revuen und Magazinen stieg, da laut de Kerckhove, die Aufmerksamkeit der Zuschauer sank.6

Der Einfluss, den das Internet auf die bestehenden Medien hat, ist ebenfalls eindrucksvoll. So hat das Online-Netzwerk »Craiglist«, das von Craig Newmark in den USA gegründet wurde und kostenlose Kleinanzeigen im Internet veröffentlicht, dem Kleinanzeigenmarkt der amerikanischen Presse die Anzeigenkunden entzogen. Newmark wird aufgrund dieser Tatsache auch als der Totengräber der traditionellen Medien angesehen. Ebenso haben die Möglichkeiten über eBay und andere Consumer-to-Consumer Netzwerke Konsumgüter zu versteigern oder zu verkaufen, die Bedeutung der Anzeigenblätter geschmälert, da Anzeigen im Internet kostengünstiger sind und aufgrund seiner weitgehenden geografischen Unabhängigkeit einen breiteren Kreis potentieller Kunden erreicht. 7

Auch die Vereinnahmung des neuen Mediums durch die bestehenden sind nachzuweisen. Die Printmedien, Fernsehen und Radio nutzen das Medium Internet als zusätzlichen Übertragungsweg für ihre Inhalte. Selbst wenn Online-Redaktionen eigenständig recherchieren und publizieren, so sind sie immer noch der Printausgabe verpflichtet, was Arbeitsweise und journalistische Normen angeht.8

Am Beispiel der interaktiven Demokratie zeigt der Professor für Politikwissenschaften Claus Leggewie, dass auch nicht mediale Institutionen vom täglichen Medienkonsum beeinflusst, versuchen, die neuen Medien nach den Maßstäben der alten zu bewerten und zu gestalten:

»Das Neue und Besondere an den »Neuen Medien« ist, technisch gesprochen, ihre Rückkanalfähigkeit und ihr interaktives Potenzial, das mit den Konventionen klassischer Massenkommunikation bricht und einen Kommunikationsstil in Frage stellt, in welchem Großorganisationen (inklusive des präpotenten Mediensystems selbst) als »Sender« einseitig auf das relativ homogen gedachte Publikum wirken, das man als passive, in step two über Meinungsführer instruierte Empfänger betrachtet. Viele konzeptionelle und praktische Ansätze elektronischer Demokratie gingen nicht nur vom Primat der Technologie aus … sie bleiben auch den Prämissen der TV-geprägten Zuschauerdemokratie verhaftet. … Unter dieser Zwangsvorstellung haben Medienrecht und Medienpolitik das Internet weltweit zum privat-kommerziellen Massenmedium zugerichtet. ›More of the same‹, also auch die Modellierung interaktiver Kommunikation an herkömmlichen unidirektionalen Formaten der Massenkommunikation, behinderte eine durchaus mögliche Nutzung für demokratische Ziele.« 9

Die neuen technischen Möglichkeiten des Internets werden also durch rechtliche und politische Maßnahmen eingeschränkt. Aber auch die Massenmedien nutzen sie nur in bedingtem Maße. Auf dem Heise Markt & Trend Dialog in Valencia, auf dem Experten über die Auswirkungen von Fernsehen über das Internet-Protokoll (IP-TV) diskutierten, äußerte sich Medienberater und Ex-RTL-Chef Prof. Dr. Helmut Thoma kritisch über die Nutzung des Rückkanals und die Interaktion mit dem Zuschauer, die durch die Übertragung des Fernsehens über das Internet-Protokoll möglich werden. Er meinte, es sei wie ein interaktives Restaurant, in dem die Zutaten auf dem Buffet stehen und die Gäste selber kochen müssen. Weiter äußerte er: »Der Zuschauer will einfach nur unterhalten werden. Die Fernbedienung bietet genug Interaktion.« Robert Hoffmann äußerte in der gleichen Diskussion die Vermutung, der Rückkanal würde eher für die Marktforschung genutzt werden, um dem Zuschauer intelligente, zielgerichtete Werbung zu zuzusenden.10

Die Entwicklung einer neuen Medientechnologie ist also abhängig vom Einfluss der vorhandenen Medien, von den Gewohnheiten und auch von den Vorstellungen der Mediennutzer, von der Politik, die die Mediennutzung reglementiert und von der Wirtschaft, die die Technik entwickelt und zur Verfügung stellt und die Zugänge zum neuen Medium kontrolliert.

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1 Zur Entwicklung vlg. Harold Innis 2004: S. 134 ff., Vgl. Debray 2004: S. 67 ff., Vgl. Ong 2004: S. 98 ff., Vgl. Kerckhove 2004: S. 117 ff.

2 Vgl. Debray 2004: S. 67

3 Debray 2004: S. 69 f.

4 Vgl. Debray 2004: S. 69

5 Raff zitiert in: Stengler 2006: S. 24

6 Vgl. de Kerckhove 2004: S. 121 f.

7 Vgl. Erroi 2007: http://www.cafebabel.com/de/article.asp?T=T&ld=10614 (nicht mehr verfügbar, 21.11.2014)

8 Vgl. Löffelholz 2004: S. 21 f.f

9 Leggewie 2007: S. 43

10 Vgl. Kossel 2007: S. 38

CC BY-NC 4.0 Dieses Werk ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell 4.0 international.

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