Das alte Medien-System


Der Begriff »Media Ecosystem« oder zu deutsch Medien-Ökosystem wurde zuerst von John Hiler, dem Mitbegründer von Xanga.com, einer der größten Weblog Communities, im Mai 2002 in seinem Essay »Blogosphere: The Emerging Media Ecosystem« verwendet. Die Metapher vom Medien-Ökosystem beschreibt die Interdependenzen von Quellen, Kommunikatoren und Rezipienten, ihre Aufgaben und die Formen der Kommunikation, durch die sie in Kontakt treten. ((archivierte Version, da der Inhalt aktuell nicht verfügbar ist: http://web.archive.org/web/20060427144931/www.microcontentnews.com/articles/blogosphere.htm ))

Auf den Begriff Medien-Ökosystem weise ich hin, da er die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen und Wechselwirkungen von den Medieninstitutionen und den Individuen lenkt. So können zum Beispiel die  Begriffe Parasitismus, Symbiose oder auch Konkurrenzkampf aus der Ökologie genutzt werden, um Beziehungen zwischen den jeweiligen Teilnehmern der medienvermittelten Kommunikation zu beschreiben. Dabei werden solche Faktoren mit einbezogen, die eine Veränderung des Systems bewirken und eine Anpassung erforderlich machen.
Diese sind für das Medien-System unter anderem technischer Fortschritt, gesetzliche Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Strukturen. Die Stoffkreisläufe können darüber hinaus zur Beschreibung der Generierung, Bearbeitung und Veröffentlichung von Informationen dienen. Im folgenden Text verwende ich allerdings den geläufigeren Begriff Medien-System.

Das alte Medien-System wird vom »Broadcast-Modell« dominiert, beziehungsweise vom »top-down« Ansatz ((Vgl. Bowman; Willis 2003: S. 10)), wie ihn Bowman und Willis in ihrer Studie »We Media« beschrieben haben. Die Medienlandschaft wurde bis zur Verbreitung des Internets von Medien der öffentlichen Kommunikation bestimmt und wird es größtenteils heute noch. Zu ihnen gehören als Gesamtinstitutionen gesehen Printmedien, Rundfunk, Bild- und Tonträger. Sie können durch ihre Begrenzung in Platz- und Zeitangebot charakterisiert werden. Die »Knappheit an Vermittlungskapazität« ((Neuberger 2004: http://goa2003.onlinejournalismus.de/webwatch/p2p.php)) wie der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger sich in einem Beitrag auf onlinejournalismus.de aus dem Jahr 2004 ausdrückt, hat große Wirkungen auf das gesamte Mediensystem.

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Abbildung 2.3.: Broadcast bzw. top-down-Modell, Quelle: Willis, C; Bowman, S.: We Media, 2003, S. 10

Die Übertragung der elektrischen Medien Radio und Fernsehen erfolgt über Rundfunk. Das heißt, das Signal wird über den Frequenzbereich, der dem Fernmeldedienst zugewiesen ist, an das Publikum verschickt. In englischer Sprache wird die Verbreitung von Signalen von einem Sender an viele Empfänger »broadcast« genannt. Rundfunk wird über Kabel, Satellit oder terrestrisch, über den Frequenzbereich, der dem Fernmeldedienst zugewiesen ist, verbreitet. Die Medien senden Signale an ein breites Publikum und in der Regel ist keine Rückkanalfähigkeit vorhanden. Rundfunk gehört also den Massenmedien an, dies ist nicht nur von technischer Bedeutung, sondern hat auch Auswirkungen auf die medien-rechtliche Zuordnung der Kommunikationswege  ((Donsbach; Mathes 1999: S. 475 f.)). Medien, die Rundfunk als technisches Verbreitungsmittel nutzen, heißen auch Push-Medien, da die Signale von den Medien übermittelt werden und die Rezipienten keinen Einfluss darauf haben, welches Programm sie wann sehen können.

Die Bereitstellung von Meinungsvielfalt, ist im alten Medien-System nur schwer zu gewährleisten. Die Medien wählen die zu veröffentlichenden Nachrichten nach bestimmten Kriterien aus der Vielzahl der Ereignisse aus. Hiler beschreibt die Verwertung der Nachricht im alten Mediensystem als »Media Food Chain« anhand der Printmedien. Dabei werden die Nachrichten erst als »Breaking News«, also als Erstmeldung veröffentlicht, etwas später folgt die Analyse, also die Hintergrundberichte, Reportagen und Interviews. Wenn keine neuen Entwicklungen mehr abzusehen sind, wird das Ereignis auf der Kommentar-Seite, der sogenannten Op/Ed Seite kommentiert, bis sie von einer neuen Schlagzeile abgelöst wird ((Vgl. Hiler 2002: http://web.archive.org/web/20060427144931/www.microcontentnews.com/articles/blogosphere.htm)). Hier wird deutlich, dass Falschmeldungen im Nachhinein nur schwer zu korrigieren sind und Zusammenhänge zwischen aufeinanderfolgenden Ereignissen nur schwer hergestellt werden können, da eine Nachricht im alten Mediensystem keine lange Lebensdauer besitzt.

Dabei ist zu beachten, dass das deutsche und das amerikanische Redaktionssystem Unterschiede aufweisen. Im englischen Journalismus wird zwischen »reporter«, »editor« und »Op/Ed-writer« unterschieden. Der »reporter« recherchiert vor Ort für eine Geschichte und schickt das Material dann an den »editor«, der es überarbeitet und dann veröffentlichen lässt. Die »Op/Ed-Writer« sind zuständig für Kommentare und Leitartikel. In Deutschland gibt es eine solche Arbeitsteilung nur begrenzt. Journalisten können Berichte genauso verfassen wie Kommentare, was die Vermischung von Nachricht und Meinung in manchen Fällen fördert.

Die Medien sind Vermittler für die Aussagen von Politik, Wirtschaft, die Bevölkerung und auch für ihre eigenen Anliegen. Sie leiten als Kommunikatoren die Aussagen ihrer Quellen an die Rezipienten weiter. Politiker sind genauso wie Vorstandsvorsitzende, Gewerkschaftler und Sprecher von Interessengruppen auf die Vertreter der Medien angewiesen, die ihre Aussagen an ein breites Publikum weiterleiten. Rezipienten haben nur die Möglichkeit ihr »Feedback« durch Leserbriefe in der Redaktion und Anrufe oder im Studio abzugeben. Durch die Auswahl, die von der Redaktion getroffen wird, ist die Meinung der Öffentlichkeit, wie sie in den Medien dargestellt wird, jedoch oft verzerrt. Indirektes Feedback erhalten die Redaktionen von Markt- und Meinungsforschern. Nach deren Ergebnissen gestalten sie ihr Programm und ihre Inhalte. ((Vgl. Schneider; Raue 2006: S. 363, Vgl. Schulz 1999a, Stichwort: Kommunikationsprozeß: S. 148))

Außerdem gibt es sogenannte alternative Medien, deren bekannteste die Berliner Tageszeitung »taz« ist. Sie bieten einen anderen Standpunkt an, als den der durch die Massenmedien verbreitet wird. ((Vgl. Meyn 2004: S. 86 f.)) Vereinzelt bietet sich auch Bürgern, die Chance Beiträge zu veröffentlichen. In offenen Kanälen, die meist von den Landesmedienanstalten unterstützt werden, können sie Fernsehsendungen, Radioprogramme und andere Projekte realisieren. Diese Inhalte finden jedoch nur lokale Verbreitung und sind meistens nur in Ballungsgebieten zugänglich. Ein breites Publikum wird nicht angesprochen. ((Vgl. Wiengarn 2003: S. 7 ff.))

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